Psychologischer Tiefpunkt der Route bei wieder nur einstelligen Temperaturen und Nässe. Motivation und Fortsetzung des Abenteuers, Schlechtwetter-Alternative über den Passo di Gávia (2.621 m).

Arnoga: Blick aus dem Hotelfenster

Arnoga: Blick aus dem Hotelfenster

Beim Abendessen im »Li Arnoga« hat es sich schon angekündigt und nun ist die Erkältung da. Bei 7°C und Regen fragen wir uns, wie es mit der Tour weitergehen soll. Auf den Bergen ringsherum liegt auf gleicher Höhe Schnee, der am Abend noch nicht da war. Eine Weiterfahrt auf dem Track nach Grosio und über den Passo dell‘ Alpe (2.463 m) offroad zum Gavia-Paß (2.621 m) schließen wir gleich aus. Übrig bleiben die Optionen 1) mit dem Rad nach Bormio rollen und weiter die Straße auf den Gavia oder 2) mit dem Bus nach Bormio und abbrechen der Tour. Stücken mit dem ÖPNV überbrücken, bloß um am Gardasee anzukommern ist uns nicht wichtig.
Nach dem Frühstück – mein Appetit hält sich in Grenzen: zwei Croissant und vier Tassen Tee – ist die Straße zur Hälfte abgetrocknet. Als Gehandicapter liegt die Entscheidung Radeln oder Bus bei mir. Auf dem Weg zur Fahrradgarage sage ich Fahren! Mit fast allem was geht auf dem Körper rollen wir langsam los und treffen am Abzweig, wo der Weg vom Torri di Fraéle auf die Straße trifft auf eine Gruppe Alpencrosser, die wir vor Tagen auf dem Weg zur Heidelberger Hütte versägt haben. Die sind noch dabei und wir diskutieren übers Abbrechen – Nein, das darf nicht sein! Plan »Bus« ist für einen Moment vom Tisch.
Kurz vor Bormio zweigt links die Straße auf das Stilfser Joch (2.757 m) ab. Wir diskutieren kurz, ob wir per Bike oder Bus über den Paß fahren und auf der anderen Seite durch das Etschtal oder doch zum Gavia. Erst einmal rein nach Bormio und in einem Restaurant zu Mittag essen.

Bormio, zentraler Platz in der Altstadt

Bormio, zentraler Platz in der Altstadt

An einem zentralen Platz hängt das Streckenprofil von Bormio auf den Gavia, ca. 25 km und 1.400 Hm. Normal kein Thema aber mit Erkältung?!?! Bei 15°C im Tal ist oben nicht mehr als 5°C zu erwarten. Und der Ehrgeiz, der größer ist als alle Vernunft öffne unsere Herzen, bewahre unseren Glauben, stärke unsere Hoffnung und wecke unsere Leidensfähigkeit!
Wir fahren den Gavia. Am Ortsausgang von Bormio wird sich der warmen Klamotten entledigt, um später der Kühle in der Höhe etwas zusetzen zu können. Vorsichtig, nur nicht überdrehen, rechtzeitig Energie und Flüssigkeit zuführen … wie ein Newbie geh ich diesen Berg an. Bei KM14 nahe der psychologischen Zwei-Drittel-Grenze kurzer Stopp und ein Gel.

Paßstraße zum Gavia, 19 km geschafft, nur noch sechs.

Paßstraße zum Gavia, 19 km geschafft, nur noch sechs.

Bei KM20 ist es Zeit, die warmen Sachen wieder überzuwerfen. Ein paar Kurven weiter zeigt sich zur Rechten ein Gebäude, auf dem Parkplatz davor ist nichts von dem Begängnis an Bikern, Autofahrern und Fußgängern zu sehen, die sonst üblicherweise auf einem großen Paßübergang anzutreffen sind. Schild gibt es auch keins, kann es auch nicht, da ich noch nicht ganz oben, sondern nur am Rifugio Berni di Gavia (2.541 m) bin. Bis zum wirklichen Etappenziel sind es noch zwei Kilometer und 111 Meter. Gegenüber des Berni steht ein Denkmal mit den Steinadler, dem Symbol des Nationalpark Stilfser Joch. Zwei Porsche-Schnösel schauen sich fröstelnd das Ensemble an und kapieren nicht, wie man hier freiwillig als Radfahrer hinkommen kann.
Dann tut sich vor mir die Paßhöhe mit dem Rifugio Bonetta (2.562 m) auf. Rechts und links der Straße tümmeln sich Motorradfahrer, geradeaus das traditionell mit vielen Aufklebern bepappte Gipfelschild. Ein italienisch sprechender Motorradfahrer möchte mit seinen Kumpels fotografiert werden, als Gegenleistung erbitte ich selbiges, bevor es in die warme Berghütte geht.

Angekommen!

Angekommen! (Höhenangabe auf dem Schild scheint ein Fantasiewert zu sein 😄 )

Drinnen ist es voll und ich finde Platz bei zwei Bikern, die auch nach Alpencross aussehen. Im Gespräch bei einem Cappuccino wird klar, daß man sich kennt und sie vor paar Tagen an der Heilbronner Hütte im Regen weitergefahren sind. Ihr Ziel ist ebenso der Gardasee. Gerade als sie aufbrechen erreicht auch Matze die Hütte. Noch ein Cappuccino, dann sind die zum Trocknen aufgehangenen Sachen nicht mehr klamm und wir fahren auch los.

Die Abfahrt vom Gavia-Paß ist serpentinenreich: Angstbremsspuren eines Pkw auf dem Asphalt.

Die Abfahrt vom Gavia-Paß ist serpentinenreich: Angstbremsspuren eines Pkw auf dem Asphalt.

Bis zum Tagesziel Precasaglio (1.400 m) geht es nur noch bergab. Die Bewölkung lichtet sich und unten ist es sogar zwei Grad wärmer als Mittag in Bormio.
Ich halte es für ein Wunder, trotz der naß-kalten Wetterlage und der dadurch bedingten Erkältung die TransAlp noch fahren zu können und daß wir sogar wieder im Zeitrahmen des Herrn Albrecht sind. An dem Spruch des Hüttenwirts auf der Heilbronner ist was dran :-)

Tagesziel Precasaglio

Tagesziel Precasaglio

[61,84 km | 1.800 Hm | 3:34:55 h]