Es gibt erlebnisreiche Tage, die vergißt man bis an das Ende seiner Tage nicht — folgendes Ding wird sicherlich dazugehören. Geplant war eine nicht ganz so leichte Rennradtour ins Isergebirge: Ostlausitzer Hügelland, Isergebirgsvorland und bei Neustadt an der Tafelfichte (Nové Město pod Smrkem) hinauf auf die Hochebene des Isergebirges zum abgeschiedenen Dörfchen Klein Iser (Jizerka). Zurück an der Südflanke bei Tannwald (Tanvald) und entlang des Oberlaufs der Lausitzer Neiße bis Zittau.

 

Start vor Sonnenaufgang.

Start vor Sonnenaufgang.

Im Vorfeld wurde die Streckenführung, Wetter und Schneeverhältnisse im Isergebirge akribisch recherchiert. Der Fahrweg soll um sicher zu gehen über 100% Asphalt verlaufen, geeignet ist dafür Radweg 3018 ab Neustadt a. d. Tafelfichte, zunächst steil empor von 460 auf 930 m, danach ohne Radwegnummer leicht abfallend auf 860 m in Klein Iser (Jizerka). Entsprechend der Webcam von Klein Iser mit Blick zur Tafelfichte scheint die Schneebedeckung weniger als fünfzig Prozent zu sein, die Asphaltwege sicherlich abgetaut.

Screenshot Webcam Klein Iser https://de.webcams.travel/webcam/fullscreen/1256304311

Screenshot Webcam Klein Iser https://de.webcams.travel/webcam/fullscreen/1256304311

Der Wetterbericht sagt für die erste Tageshälfte Sonnenschein und ab 15:00 Uhr 70% Regenwahrscheinlichkeit an. 15:00 wollte ich längst auf der Rückreise sein — paßt also auch.

Oberlausitz und Isergebirgsvorland

Start kurz nach 06:00 Uhr vor Sonnenaufgang, es ist frostfrei und aus Südost weht ein spürbarer Wind. Cunewalder Tal, Löbau, Bernstadt auf dem Eigen, Neiße-Querung in Ostritz, alles gegen den Wind, der einen zwar nicht vom Rad holt aber das Vorankommen erschwert.

In der Ferne das Ziel; Blick bei Bernstadt auf dem Eigen.

In der Ferne das Ziel; Blick bei Bernstadt auf dem Eigen.

Lausitzer Neiße in Ostritz.

Lausitzer Neiße in Ostritz.

Östlich der Neiße bei Ostritz geht es durch einen polnischen Landstreifen von vier Kilometer Breite hinauf auf eine Anhöhe, wo seit Jahrhunderten die politische Grenze zwischen der Oberlausitz und Böhmen verläuft. Auf böhmischer Seite beginnt in Engelsdorf (Andělka) Radweg 3016, dessen Verlauf man bis Friedland in Böhmen (Frýdlant v Čechách) folgen könnte, wie ich es auch bei der ersten Riesengebirgstour im Jahr 2017 gefahren bin. Friedland möchte ich heute nordöstlich umfahren. Die Umfahrungsstrecke über Radweg 3006 auf den Höhen des Isergebirgsvorlandes ist landschaftlich toll, die Qualität der Wege jedoch extrem schlecht, rauer oder kaputter Asphalt, der jede Aufmerksamkeit erfordert.

Landschaft bei Bullendorf, Oberdorf (Bulovka Horní Ves).

Landschaft bei Bullendorf, Oberdorf (Bulovka Horní Ves).

Zusätzlich zum Gegenwind, dem Asphalt, auf dem nichts rollt kommt ab Heinersdorf an der Tafelfichte (Jindřichovice pod Smrkem) der Anstieg am Schöbicht (Andělský vrch; 572 m) Richtung Neustadt hinzu, der die ersten 95 km der Tour endgültig zu einen Kraftakt werden lassen.

An der Tafelfichte

In Neustadt an der Tafelfichte suche ich zuerst das Zentrum um den rechteckig angelegten Marktplatz auf. Wirklich gemütlich ist es hier nicht, es gibt ein paar kleine äußerlich heruntergekommene Kneipen, mehr zunächst nicht. Daher mache ich mich ohne Halt direkt in den ungefähr zehn Kilometer langen Anstieg zur Talelfichte. Radweg 3018 ist nicht markiert, der gemeinte,  sehr gut asphaltierte Weg, wird jedoch gleich gefunden. Eine nette Einkehrmöglichkeit scheint direkt am Waldrand das Trek Centrum »U Kyselky« zu sein, Fahrradservice mit »… Angebot an kleinen Mahlzeiten […] und das hervorragende örtliche Bier Svijany vom Fass genießen …«. (Ich habe dieses Bier nie gekostet, in der Regel macht man bei Böhmischen Bieren aber nichts falsch, Bierbrauen ist hier Kernkompetenz, nicht zuletzt dank des weichen Wassers.)

Blick zur Tafelfichte von der Ostflanke des Sauberg (Svinský vrch; 756 m).

Blick zur Tafelfichte von der Ostflanke des Sauberg (Svinský vrch; 756 m).

Der Anstieg ist wegen des guten Asphalt nett zu fahren, ein paar Rampen sind drin aber nichts Mörderisches. Bis zur Kreuzung mit der »Himmelsleiter« (untere Kreuzung) / (Nebeský žebřík (dolní rozcestí)), die noch 1.000 m wie der Name verspricht steil zum Gipfel führt, ist alles schneefrei und trocken. Hier ist der wahrscheinlich höchste asphaltierte Weg im böhmischen Teil des Isergebirges. Ich würde es gerne Gebirgspass nennen, aber es geht in drei Richtungen bergab, korrekt ist eventuell Kulminationspunkt der Höhenstraße … aber sehr dick aufgetragen, für 931 m.

Abzweig Himmelsleiter, laut Schild 931 m, höchster Punkt der Tour.

Abzweig Himmelsleiter, laut Schild 931 m, höchster Punkt der Tour.

STRAVA-Segment des Anstiegs von Neustadt a. d. T. zur Himmelsleiter

Ein paarhundert Meter weiter des leicht bergab verlaufenden Weges endet die Befahrbarkeit wie aus dem nichts: obwohl Südhanglage ist der Weg mit einer Schneeschicht von bis zu 30 cm bedeckt. Offensichtlich ist hier präparierte Skilanglaufpiste und was die Pistenraupe so verdichtet taut auch nach wenigen warmen Sonnentagen nicht gleich weg. Es ist Schieben angesagt.

Flur »Auf dem Sande« (Na písčinách).

Flur »Auf dem Sande« (Na písčinách).

Am Knoten »Auf dem Sande« (Na písčinách; 871 m) ist Klein Iser mit elf Kilometern angegeben. Schlimmstenfalls ist die Wegsituation bis Klein Iser so.

Nach ungefähr zwei Kilometern gelangt man an die markante Wegkreuzung Předěl (ca. 890 m), benannt nach der Wasserscheide Nordsee / Ostsee in diesem Bereich mit Abgängen in fünf Richtungen. Das Wetter verschlechtert sich und der für 15:00 Uhr angesagte Regen ist schon 13:30 da. Bis Klein Iser sind es immer noch zehn Kilometer laut Information auf dem Wegweiser. Unter den Bedingungen ist mit zwei Stunden Fußmarsch zu rechnen. Nach Blick auf die Karte und die Wegweiser ist der Wanderweg nach Westen durch das Tal »Šindelový důl« zur Staatsstraße Silnice I/290 die sinnvollste Lösung, wieder zivilisationsnah zu kommen. Die Entfernung bis zur Wittig-Brücke unweit der Staatsstraße ist mit drei Kilometern angegeben. Zunächst verläuft der Weg recht steil hinab über Schnee, später weichen Boden. Der letzte Kilometer wurde als Fahrweg ausgebaut und ab der Wittig-Brücke (Smědá) asphaltiert.

Šindelový důl: lieber so, als 30 cm Schnee.

Šindelový důl: lieber so, als 30 cm Schnee.

Rückweg

Der Abzweig Wittig-Brücke befindet sich auf ca. 650 m, um auf das Hochplateau des Isergebirges zu gelangen ist der Wittigpaß (Smědava; 899 m) via  290  zu nehmen; da es sich richtig eingeregnet hat fällt die Schleife über Tannwald und Reichenberg i. B. weg und es wird der direkte Weg durch das Wittigtal bis Friedland i. B. genommen und weiter nach Westen auf Zittau zu. Diese Strecke bin ich auch in 2017 gefahren, damals wie heute schöner Rückenwind und schnelles Dahinrollen. Nur die Nässe tut etwas Abbruch.

Blick auf Schloß Friedland.

Blick auf Schloß Friedland.

Ab Zittau bleibt es dann trocken, zwei sinnvolle Relationen stehen jetzt zur Disposition, die schnellere und kürzere über die alte B 178 durch Herrnhut bis Löbau und weiter wie morgens oder eine südlichere Variante parallel zur B 96 (»Radfernwanderweg D4; Mittelland-Route (Sachsen-Ost)«). Die Wahl fällt auf Variante 2, da im Norden gerade ein Regenband durch zu ziehen scheint und es etwas südlicher freundlicher aussieht.

Zu fortgeschrittener Stunde kommt der Gedanke ans Abendessen in den Sinn und irgendwie setzt sich türkisch fest. An der Strecke sind zwei bekannte Dönerläden geschlossen, es bleibt nur der kleine Umweg über Ringenhain.

STRAVA-Aktivität

Klein Iser Webcam live

Jizerka