Sehr erholsam ist der Schlaf im 2 x 3 Matratzen Notlager nicht. Unter dem Spitzdach steht trockene Wärme und weil der Raum zur darunter liegenden Etage sowie dem Treppenhaus offen ist bekommt man jedes nächtliche und früh-morgentliche Begängnis mit. Zusätzlich nächtigen noch zwei Damen mittleren Alters in dem Lager. Sie fallen durch gänzlich neue und saubere Ausrüstung, wie auf Fotos in einem Outdoor-Katalog, und eine spießig-spröde Art auf. Außerdem bestanden sie darauf, daß wir getrennt, das heißt sie rechts und wir Männer links schlafen.

Zum Frühstück gibt es die regional typischen Vinschgauer (Brötchen), aus dunklem Teig, etwas flacher aber von größerem Durchmesser als gewöhnliche Brötchen, mit einer Spur Kümmel versehen und sehr sättigend. Drei davon reichen zur Sättigung vollkommen aus.

Sesvenna-Hütte (2.256 m)

Sesvenna-Hütte (2.256 m)

Von der SESVENNA-HÜTTE rollt es Schleis und Laatsch ins Tal der Etsch. Kurz hinter Laatsch beginnt ein halbschattiger Schotterweg am Rambach entlang das Val Müstair (Münstertal) hinauf. Die Steigung ist nicht schlimm, die Beine fühlen sich jedoch von der harten Vortagsetappe nicht gut an und ich wäre am liebsten bei aktivem Nichtstun auf der SESVENNA-HÜTTE geblieben. Eine drückende Schwüle an dem Bach trägt auch nicht gerade zum Wohlfühlen bei.

Matze ist guter Dinge und wir legen im letzten Restaurant vor der italienisch-schweizerischen Grenze eine Kaffee-und-Eis-Pause ein. Auf der schweizer Seite füllen wir am Dorfbrunnen von Müstair die Trinkflaschen auf, bevor es über Santa Maria Val Müstair (St. Maria im Münstertal) um die 1.000 Hm zur Anhöhe von Döss Radond (2.240 m) zu klettern gilt. Die Schwüle des Tales läßt mit zunehmender Höhe nach, ich hab den Rhythmus gefunden und schraube mich gemütlich den bequemen Schotterweg nach oben. An der Alp PRAVEDER (2.090 m) wird mir ein Weidezaundurchlaß aufdringlich (der rechte Kontakt verheddert sich im Vorderrad) und ich muß linksseitig Kontakt mit dem Boden aufnehmen. Die wunderschöne Landschaft auf Döss Radond entschädigt jedoch für diesen Patzer.

Ab hier beginnt das Val Mora und es geht zunächst auf dem breiten Schotterweg leicht bergab. Dann beginnt ein technisch einfacher Trail durch die Krummholzzone bergab bis zum Mora Bach. An einem schmalen Holzsteg über den Bach treffen wir ein Pärchen, das in entgegengesetzte Richtung unterwegs ist. Der Mann trocknet seine Füße, da (von uns aus) hinter dem Steg der Pfad dem Bach zum Opfer geworden ist und man einige Meter durch das Bachbett fahren muß. In Fließrichtung schaffen wir es trockenen Fußes. Der Trail steigt vom Bach weg allmählich an und bald liegt der Bach mehrere Dutzend Meter tief zur Rechten. Geländer darf man hier keine erwarten, dafür immer wieder abgebrochene oder ausgespülte Passagen. Der Trail scheint nach jedem größeren Regen anders auszuschauen.

Im Val Mora

Im Val Mora

Hinter der Grenze zu Italien am Passo die Fraele (1.952 m) ist aus dem Pfad wieder ein breiter Weg geworden. Durch das breite Hochtal weht vom Lago di S. Giacomo ein frischer Wind von gefühlten drei bis vier Windstärken entgegen (fast schon Nordfriesisch!). An der Nordwestspitze des Sees machen wir Mittagspause im RIFUGIO VAL FRAELE. Wir sind die einzigen Gäste und der Wirt bringt jeweils eine Kinderportion Pasta mit Fleischsoße und Kuchen von gestern oder vorgestern. Im Gegensatz dazu kocht er einen erstklassigen Kaffee (stark & gehaltvoll). Weiter geht es am Ostufer zur Staumauer des sich anschließenden Lago die Concano. Von der Staumauer führt eine Schotterstraße ca. 50 Hm hinauf bis zu zwei alten Wehrtürmen auf dem Passo Torri di Fraele (1.941 m). Von hier ist eine fantastische Aussicht hinab ins 600 Meter tiefer liegende Tal die Viola, die bei Bormio in die Adda mündet. Auf der sich anschließenden Abfahrt biegen wir in der dritten Serpentine in einen parallel zur Höhenlinie verlaufenden Schotterweg Richtung Arnoga ein. Ab Arnoga folgen noch einmal 500 einfache Höhenmeter das Viola-Tal hinauf zur RIFUGIO VAL VIOLA auf 2.314 m, unserem Tagesziel.

Rifugio Val Viola (2.134 m)

Rifugio Val Viola (2.134 m)

Die RIFUGIO VAL VIOLA ist ein altes Militärgebäude, zweigeschossig mit Flachdach und hat außer neuen Schweißbahnen auf dem Dach und neuem Fassadenputz kaum eine Veränderung seit dem letzten Weltkrieg erfahren. Von innen lassen sich die Fensterläden aus zentimeterdicker Stahlplatte schließen. Im Metall zeugen Einschußkerben davon, daß das Gebäude tatsächlich umkämpft war. Vor dem Haus steht ein alter Army Jeep mit festem Verdeck, der noch für den Transport der Waren zur Hütte genutzt wird. Einer Dame in den Siebzigern erkläre ich den Wunsch nach einer Übernachtung mit Abendessen und Frühstück für zwei Personen. Als Matze einige Minuten später eintrifft zweigt uns ihr Mann das Lager im Obergeschoß: ein kleiner Raum mit sechs oder sieben Doppelstockbetten, einem Ölofen, einem Fenster und einer Schießscharte. Das Bad (WC & Waschbecken) ist auf der Etage und hat Warmwasser.

Im Speiseraum im Erdgeschoß, eingerichtet mit zwei langen Tafeln und je zwei Bänken ohne Lehne sitzt eine Ferienlagergruppe, Mädchen, ca. zwölf Jahre alt mit zwei Betreuern, Anfang 20 und einer Betreuerin, höchstens 20.

Eine jüngere Frau, wahrscheinlich die Tochter der Alten, bringt das Essen, Polenta mit Gulasch vom Kaninchen und einem Stück Hackbraten vom Lamm. Dazu einen Liter Wasser und einen Liter Rotwein und vier Plastikbecher. Als Nachtisch kommen Schokopudding, Espresso und Grappa. Dabei kann ich die Dame gerade noch davon abhalten, den Schnaps in den Kaffee zu kippen – ich genieße das lieber separat.

Nach dem Essen nehmen wir den restlichen Wein und das Wasser mit auf die Terrasse und lassen den Tag ausklingen. Dazu erinnere ich mich an eine kleine Tüte Pistazien, die seit Ischgl im Rucksack liegt und einen passenden Snack zum Wein bietet.

13.07.2010: 84,95 km | 6:11:14 h | 1.900 Hm